Essen im Stillschweigen ist eine kostbare Zeit
Bei den Nonnen im Kloster Fahr kommt der Genuss nicht zu kurz, auch wenn er nach benediktinischer Regel stets eine Frage des Masses ist. Priorin Irene Gassmann über die Bedeutung des Essens, den Verzicht und das Schweigen am Tisch.
Es ist ein kalter Wintertag im Januar, als wir im Klos- ter Fahr, 20 Autominuten ausserhalb der Stadt Zürich, ankommen. Im Restaurant «Zu den Zwei Raben», das zum Kloster gehört, treffen wir Priorin Irene: eine fröhliche Frau mit wachen Augen. Eine, die gern erzählt, mit beiden Beinen auf dem Boden steht und unbeirrt ihre Ziele verfolgt. Es sei in der heutigen Zeit eine schwierige Aufgabe, das Kloster in die Zukunft zu führen, sagt sie. Es fehle an Nach- wuchs. Bekehren will sie aber niemanden. Lieber erschliesst sie einen neuen Markt und bietet Ruhe suchenden Frauen mehrtägige Aufenthalte in der Stille des Klosters an. Zudem ist sie mit einem grossen Sanierungsprojekt beschäftigt und verant- wortlich für 40 Angestellte, die sich um die ange- gliederten klösterlichen Einrichtungen, Restaurant, Klosterladen und Landwirtschaftsbetrieb, kümmern.
Priorin Irene, sind Sie oft zu Gast im Restaurant «Zu den Zwei Raben»? In dieser Woche schon: Morgen werde ich mich hier mit einem Gemeinderat zum Mittagessen treffen, und für Freitag ist ein gemeinsames Fon- dueessen mit allen Schwestern geplant. Also bin ich diese Woche sogar dreimal hier.
Ein Fondueessen unter Klosterschwestern – ist das üblich? Nein, es ist eine Ausnahme. Wir haben eine Woche Ferien und eine etwas andere Tagesordnung. Damit die Köche das Fondue nicht ins Kloster bringen müssen, kommen wir ins Restaurant. Das Gute daran ist, dass wir das Geschirr hinterher nicht selber abwaschen müssen. Das ist doch schön.
Gastgeberin Rebekka Jufer tritt an den Tisch, um die Bestellung aufzunehmen. Priorin Irene Gassmann wählt eine Randensuppe und die Berner Platte mit geräuchertem Schweinshals, Schüblig, Siedfleisch, Salzkartoffeln und Sauerkraut. Sie schlägt vor, dazu ein Glas Wein aus dem Kloster Fahr zu trinken und gerät dabei gar ins Schwärmen.
Welchen Wein würden Sie denn empfehlen?
Entweder den Laudate – das ist ein Pinot gris mit einer dezenten Restsüsse – oder eine eher süsse Spätlese, eine Mischung aus roten und weissen Trauben. Wir könnten aber auch ein Gläschen Rotwein trinken, zum Beispiel den Monacha aus dem Barrique. Aber zum Sauerkraut passt wohl eher der Weisse.
Wir einigen uns auf ein Glas Laudate, übersetzt bedeutet das Wort Loblied.
Den Wein keltert ein Kellermeister, der im Kloster angestellt ist. Was ist denn Ihre Aufgabe bei der Weinproduktion? Wenn es geht, helfe ich zusammen mit den Schwestern bei der Weinlese. Ehrlich gesagt, war ich im vergangenen Jahr aber nie dabei. Es ist halt nicht immer möglich, denn einerseits muss das Wetter stimmen, und andererseits habe ich eine volle Agenda. Ich freue mich aber immer zu hören, wie die Ernte war.
Die Suppen werden serviert, dazu wird Brot gereicht. Priorin Irene hält kurz inne: Bevor wir uns weiter unterhalten und mit dem Essen beginnen, möchte sie ein Gebet sprechen. Sie halte es nicht für selbstverständlich, dass man zusammensitzen dürfe und dabei etwas Gutes zum Essen vor sich habe. Dafür wolle sie ein Danke sagen. Die Priorin faltet ihre Hände, senkt den Kopf und spricht ein kurzes Gebet. Danach wünscht sie einen guten Appetit und schlägt ihre Serviette der Kante nach ein, um ihre Spitze anschliessend in den Halskragen zu stecken.
Normalerweise essen Sie zusammen mit Ihren Schwestern im Stillschweigen. Sie scheinen aber keine Mühe damit zu haben, während des Essens interviewt und fotografiert zu werden.
Nein, im Gegenteil, ich habe mich auf dieses Gespräch gefreut, ich bin gern im Austausch mit Menschen. Aber ich schätze auch das Speisen in der Stille im Kloster mit Tischlesung.
Was genau schätzen Sie daran?
Es ist wohltuend, sich an einen Tisch setzen zu dürfen und nicht reden zu müssen. Das Essen wird zu einem erholsamen Moment, weil man einfach schweigen und dem Vorgelesenen lauschen darf. Wenn ich möchte, kann ich mich aber auch meinen Gedanken widmen und mich innerlich auf eine Sitzung vorbereiten. Daher ist das Essen im Stillschweigen eine sehr kostbare Zeit.
Welches ist Ihr Lieblingsessen?
Das ist schwer zu sagen, ich esse generell sehr gern. Das Frühstück, das wir nach dem Morgengebet zu uns nehmen, ist meine liebste Mahlzeit. Ich nehme mir gern viel Zeit dafür. Im Winter, wenn es in der Kirche noch kühl ist, freue ich mich immer ganz besonders auf den warmen Kaffee mit Brot, Butter, Käse und Konfitüre.
Hat das Essen innerhalb der Klostermauern einen besonderen Stellenwert?
Ja. Eine Klosteranlage ist nach einem ganz bestimmten System aufgebaut. Die Kirche steht immer parallel zum Refektorium, zum klösterlichen Speisesaal. Diese Anordnung symbolisiert, dass die Tätigkeiten, die man darin verrichtet, die gleiche spirituelle Ebene haben: Die Kirche ist der Ort, an dem die Seele genährt wird, das Refektorium ist der Platz, an dem man den Körper nährt.
Aussenstehende haben oft das Gefühl, ein Kloster sei etwas Asketisches.
Dem ist bei uns nicht so, denn wir leben die benediktinische Spiritualität: Der Heilige Benedikt empfand Liebe zum Leben. Ich habe extra die Benediktsregeln mitgenommen, denn ich war mir sicher, dass wir auf dieses Thema zu sprechen kommen würden. (Die Priorin blättert in ihrem Buch.) Er schreibt etwa, dass es wichtig sei, Mass zu halten beim Essen und Trinken, aber auch beim Arbeiten und Beten.
Der Hauptgang wird serviert. Das Sauerkraut duftet und dampft, darauf sind die Fleischstücke angerichtet.
Wie halten Sie es denn mit dem Verzicht, etwa während der Fastenzeit?
Die Fastenzeit soll generell eine Zeit sein, in der man neue Wege geht. Das kann durchaus geschehen, indem man auf das Essen verzichtet. Denn erst, wenn man etwas eine Zeit lang bewusst weggelassen hat, merkt man, wie besonders es schmeckt. Abends beispielsweise essen wir etwas einfacher, ansonsten befolgen wir aber kaum Fas- tenregeln. Man braucht in der Fastenzeit nicht unbedingt die Essgewohnheiten zu verändern.
Sie fasten also nicht vor Ostern?
Ich mag Schokolade sehr und versuche dann jeweils, darauf zu verzichten. Allerdings bin ich keine gute Asketin. Wir im Kloster Fahr üben Verzicht nicht um des Verzichtens Willen. Benedikt sagt, dass man in der Fastenzeit das üben soll, was man während des Jahrs vernachlässigt hat.
Was wäre das zum Beispiel?
Vor einigen Jahren übten wir in unserer Gemeinschaft, Freizeit zu nehmen. Wir arbeiten sechs Tage in der Woche durchgehend, und der Sonntag ist mit Liturgie gefüllt. Deshalb beschlossen wir, in der Fastenzeit am Samstagnachmittag frei zumachen. Ich zeigte den Schwestern, wie das geht, und wir übten uns darin, unternahmen etwa ausgedehnte Spaziergänge oder Velotouren. Das gefiel allen so gut, dass wir fortan das ganze Jahr über am Samstagnachmittag freimachten. Damit war mein Ziel erreicht, denn in unserem Glauben müsste das gesamte Leben einer Nonne so sein wie während der Fastenzeit.
Trinken Sie in der Fastenzeit auch Wein?
Unter der Woche nicht, aber der Sonntag ist kein Fastentag, dann gibt es auch ein Glas Wein.
Die Köche des Restaurants bringen Ihnen täglich das Mittagessen ins Kloster. Genuss kommt im Kloster Fahr offenbar nicht zu kurz.
Ja, das ist so. Unter den Benediktinern heisst es, man müsse ins Kloster gehen, um das Geniessen zu lernen. Denn im Kloster isst und trinkt man gut.
Priorin Irene Gassmann ist auf einem Bauernhof im Kanton Luzern aufgewachsen. Sie absolvierte die Bäuerinnenschule Kloster Fahr, bevor sie mit 21 Jahren ins Benediktine- rinnenkloster eintrat. Nach der Ausbildung zur Lehrerin über- nahm sie für zehn Jahre die Schulleitung der inzwischen geschlossenen klösterlichen Bäuerinnenschule. 2003 wurde sie Priorin. Als Jüngste in der Gemeinschaft führt sie das Kloster mit 20 Nonnen und ist verantwortlich für die dazugehörigen Betriebe.
Erschienen in: Saisonküche