Auf zu neuen Horizonten
Das Restaurant «Igniv by Andreas Caminada» steht fürs Teilen auf hohem Niveau und mischt damit die Spitzengastronomie gehörig auf. Mit Erfolg, denn Küchenchef Silvio Germann setzt das Konzept in Bad Ragaz gekonnt um. Bald soll es auch international für Furore sorgen.
Wenn in der gehobenen Gastronomie Kon- ventionen gebrochen werden, dem Fine-Dining das Wort «Sharing» hinzugefügt und eine exzellente Küche geboten wird, kann nur einer dahinterstecken: Andreas Caminada. Der Bündner Spitzenkoch gilt als einer der besten seiner Gilde. Seine Küche im «Schloss Schauenstein» in Fürstenau ist mit drei Guide-Michelin-Sternen und 19 Punkten von Gault & Millau ausgezeichnet. Im Dezember 2015 eröffnete er ein weiteres Restaurant unter der Zweitmarke «Igniv» in der ehemaligen «Äbtestube» im Grand Resort Bad Ragaz. Das Medienecho war gewaltig und sowohl Gäste als auch Kritiker zeigten sich begeistert.
Wir treffen Andreas Caminada und «Igniv»- Küchenchef Silvio Germann an einem war- men Sommertag im Restaurant. Es ist kurz vor zehn Uhr und fünf Köche und die Patissière sind bereits in der Küche am Werk. Sie setzen den Fond an, rüsten das Gemüse und treffen alle Vorbereitungen für den Abend-Service. Im Restaurant indes ist es noch ruhig.
Wer hier zu Gast ist, erlebt eine völlig neue Art der gehobenen Gastronomie. «Igniv» ist rätoromanisch und bedeutet Nest. Teilen steht im Mittelpunkt. Will heissen, die Ge- richte werden nicht auf Tellern angerichtet, sondern kommen in kleinen Schalen und Tellern in die Tischmitte. Die Gäste bedienen sich jeweils selbst. «Das Sharing haben wir natürlich nicht erfunden, aber wir sind die ersten, die es im Fine-Dining-Bereich umset- zen», sagt Andreas Caminada.
Pro Gang werden zwischen fünf bis acht Gerichte gleichzeitig serviert. Küchenchef Silvio Germann komponiert die Menüs mit grossem Geschick und feinem Gespür. Besonders für seine variantenreichen Vorspeisen erhält er zahlreiche Komplimente. Dieser Gang enthält nicht weniger als zwei Fischgerichte, zwei Fleischgerichte und einige vegetarische Kreationen. Für die Hauptspeisen wählt er jeweils ein Hauptthema, zum Beispiel Kalb, das er ebenso vielseitig auf die Teller bringt.
Nach dem Dessert folgt der krönende Abschluss: der Besuch im Candy-Store. Wie in einem kleinen Süsswarengeschäft werden hier allerlei Köstlichkeiten feilgeboten, natürlich hausgemacht. Wer möchte, darf selbst eine Auswahl treffen und sich die Leckereien für den Nachhauseweg einpacken lassen.
Neu, aber mit gleicher Handschrift
Der Gedanke, dass er neben seinem ehr- würdigen Restaurant und Hotel im Schloss Schauenstein etwas völlig Neues erschaffen möchte, geisterte schon länger in Caminadas Kopf herum. «Wir brechen im ‹Igniv› Konventionen, die man im Fine-Dining nicht brechen dürfte. Wir haben es trotzdem getan und es hat funktioniert», sagt er und lacht. Der Erfolg gibt ihm recht. Bereits im ersten Jahr erhielt das Restaurant einen Guide-Michelin- Stern und 16 Gault-Millau-Punkte. Küchenchef Silvio Germann bekam zudem den Titel «Entdeckung des Jahres in der Deutschschweiz». Mit ihm hat Andreas Caminada einen jungen Profi an den Herd geholt, der bereits über drei Jahre in der «Schloss»-Küche gewirkt hat.
Silvio Germann beherrscht die Caminada- Handschrift aus dem Effeff. «Bei meinen Gerichten erkennt man durchaus, dass mich die Zeit bei Andreas geprägt hat», so der Küchenchef. «Ich fände es falsch, wenn dem nicht so wäre, zumal ich ja in seinem Restaurant koche und seinen Stil repräsentiere.» Germann hat in seiner noch jungen Karriere auch Stages in Spitzenküchen in Spanien, Österreich, Schweden und Brasilien absolviert.
Eine Bilderbuchkarriere
Dass Andreas Caminada einst seinen Namen zur Marke machen wird, plante er nicht als er in seinen Beruf einstieg. Vielmehr ist seine Bekanntheit das Resultat harter Arbeit, grosser Kreativität und Schöpfungskraft. Als er 2003 im Alter von 26 Jahren mit «Schloss Schauenstein» sein erstes Restaurant eröffnete, dachte er nicht an Marketing-Strategien. «Ich wollte einfach ein kleines, feines Lokal erschaffen, das eine hochstehende Küche und ein aussergewöhnliches Gesamterlebnis bietet», erzählt der zweifache Vater.
Er startete mit vier Angestellten, erhielt bald den ersten Guide-Mi- chelin-Stern sowie 15 Gault-Millau-Punkte, steigerte kontinuierlich seine Leistung, erhöhte die Preise und stellte weiteres Personal ein. Die Spirale drehte sich unaufhörlich, die Auszeichnungen häuften sich und «Schloss Schauenstein» wurde immer grösser und bekannter. «Anfangs versuchten wir stets den Punkten und Sternen gerecht zu werden und mussten oft improvisieren», erinnert er sich. Das eine fügte sich zum anderen. Zeit, Strukturen zu schaffen oder Ziele zu kreieren, blieb dem Spitzenkoch damals keine.
Als nach zehn Jahren der dritte Stern hinzukam, ging Caminada über die Bücher und setzte sich mittel- und langfristige Ziele. So lancierte er etwa ein eigenes «Bookazine», erschuf mit der «Remisa» einen Ort für geschlossene Gesellschaften, gründete mit Freund und Spitzenkoch Sandro Steingruber das «acasa Catering» und später neben dem «Igniv» auch die Stiftung Uccelin. 2014 folgte ein weiteres Highlight: Mit seinen «Splendur»-Gerichten, die er auf einem iPad anrichtete, überraschte er den Gast dank der Licht-Kunst von Peter Diem nicht nur kulinarisch, sondern auch visuell. Noch heute zaubern diese kunstvollen Gerichte hin und wieder als Surprise-Gang grosse Emotionen bei den Gästen hervor.
Seinem Stil ist Andreas Caminada stets treu geblieben ohne dabei im Stillstand zu verharren. Doch wie schafft er es, die weit gereisten Gäste noch zu überraschen? «Man muss ihnen etwas bieten, was in anderen Restaurants auf dem gleichen Niveau nicht geboten wird», sagt Caminada und ergänzt: «Gut essen und ein schönes Ambiente sind wichtig. Aber noch wichtiger ist die Leistung des gesamten Teams, denn Gastfreundschaft funktioniert nur mit Passion und Leidenschaft.»
Chancen für den Nachwuchs
Der Bündner ist längst zum Botschafter der Schweizer Spitzengastronomie geworden. Seit vergangenem Frühling steht er jede Woche für die Web-Clips des Gault-Millau- Channels vor der Kamera, verrät seine Rezepte und gibt Einblick in sein Schaffen. Zudem repräsentiert er die Schweiz auf internationalem Parkett und tauscht sich unentwegt mit Spitzenköchen auf der ganzen Welt aus.
Sein Netzwerk ist gigantisch. Davon sollen dank seiner Stiftung Uccelin auch die jungen Kochkünstler pro tieren. «Uccelin» steht rätoromanisch für «Vögelchen» und bietet jungen Köchen und Servicefachkräften die Möglichkeit, sich in Spitzenküchen und bei Produzenten auf der ganzen Welt weiterzu- bilden. «Wir wollen die Jungen individuell för- dern und ihnen Einblick in die weltweite kuli- narische Vielfalt gewähren», sagt Caminada, der als Stiftungsratspräsident amtet. Das Raster des 20-wöchigen Weiterbildungsprogramms ist vorgegeben, die Stages darin dürfen die Stipendiaten jedoch selbst wählen. «Uccelin» übernimmt sämtliche Kosten während dieser Zeit. «Ein Praktikum bei einem grossen Idol zu machen und dessen Philosophie kennenzulernen, ist ein Traum eines jeden Kochs und wichtig für die beru iche Zukunft. Weil nicht jeder die nötigen nanziellen Mittel oder Beziehungen dazu hat, bieten wir den Jungen unsere Unterstützung an», so Andreas Caminada. Die ersten Stages konnten bereits mit Erfolg abgeschlossen werden.
International durchstarten
Rückblickend hat Andreas Caminada vieles richtig gemacht. Aber nicht alles: «Heute würde ich mein Lokal nicht mehr ‹Schloss Schauenstein› nennen, denn international kann diesen Namen kein Mensch ausspre- chen», sagt er. Bei der Marke «Igniv» soll das nicht passieren. Diese hat er nach einem klaren Konzept aufgebaut und sie sogar welt- weit schützen lassen. Der Name ist kurz und einprägsam, das Nest als Symbol ist im Logo erkennbar. Auch das Interieur, designt von der spanischen Künstlerin Patricia Urquiola, verkörpert den Nestcharakter. Viel Holz, Messing und das Farbenspiel mit Bordeaux, Burgund, Braun und Cyan verleihen dem Raum Gemütlichkeit sowie einen Hauch Frische.
Vergangenen Winter eröffnete Caminada ein zweites «Igniv» im «Badrutt’s Palace» in St. Moritz. Es ist jeweils in der Wintersaison geöffnet und wird von Küchenchef Marcel Skibba geführt. Ab 2019 sollen weitere dieser Konzepte im Ausland dazukommen. Andreas Caminada zeigt sich optimistisch: «Ich bin überzeugt, dass die Marke auch in London funktioniert.» Auf die Frage, in welchem Lokal er denn selbst gerne zu Gast ist, antwortet Caminada: «Im ‹Igniv›. Unsere Familien trafen sich vergangenes Jahr hier sogar zum Weihnachtsessen. Ich mag es einfach, in ungezwungenem Rahmen zusammenzusitzen, zurückzulehnen und auf sehr hohem Niveau zu essen.»